Was hat Sie zum
Aufbau einer interdisziplinären und interkulturellen Bildungsstätte bewogen?
Antwort: Zum einen eine schwere Erkrankung
vor vielen Jahren und zum zweiten der Tod des ersten Kindes. Beide Umstände
bewogen mich, Medizin studieren zu wollen. Nur kann ich leider kein Blut sehen
und habe begonnen, Ärzte und Naturwissenschaftler zu mir nach Hause einzuladen
und auf diese Weise meine eigene Bildung und der Fortbildung meiner Freunde
dienlich zu sein. Der Impuls zu einer interkulturellen Bildungsstätte erwuchs
aufgrund der Tatsache meiner vielen internationalen Reisen. Ich hatte schon als
junger Mensch das Glück, viel und weit reisen zu können. Dort kam ich
zwangsläufig in Kontakt mit anderen Kulturen und Lebeweisen. Der Kontakt mit
anderen Völkern zeigte mir, dass wir als Deutsche, als Weiße, als Christen
keineswegs unbedingt die Krone der Schöpfung darstellen. Ich lernte sehr viel
Weisheit, sehr viel Menschlichkeit und große Humanität bei anderen Völkern und
Religionen kennen. Diese Begegnungen rangen mir Respekt ab und heute bin ich
der Meinung, dass wir gar nicht früh genug Respekt vor Andersartigem entwickeln
können. Nur wenn wir Respekt haben, können wir Anderes auch wertschätzen. Nur
dann können wir jene Toleranz entwickeln, die wir zu einem konstruktiven und
gewaltarmen Miteinander gebrauchen.
Sie haben im
Laufe ihres Lebens nicht nur viele Länder der Erde bereist und herausragende
Persönlichkeiten kennengelernt. Sie sind auch jetzt noch viel unterwegs. Was
halten sie aufgrund Ihrer Erfahrungen derzeit für das Wichtigste?
Antwort: Diese Frage lässt sich sehr
leicht beantworten: Wie alle Persönlichkeiten, die ich kennengelernt habe,
halte ich den Erhalt bzw. die Schaffung des sozialen Friedens für das
Allerwichtigste. Dafür ist umfassende Bildung eine wesentliche Voraussetzung.
Bildung unterscheidet sich von bloßer Wissensvermittlung dadurch, dass sie
Mitgefühl und Verantwortung für anderes Leben miteinbezieht. Deshalb haben wir
uns zusätzlich zu unseren eigenen Aktivitäten mit dem rheinland-pfälzischem
Konzept „Bildung von Anfang an" vertraut gemacht. Wir halten es für ganz
ausgezeichnet und hoffen, dass es Schule machen wird.
Woher beziehen
Sie die Kraft für Ihren lebenslangen Einsatz?
Antwort: Viele von Ihnen kennen die
berühmte Rede Martin Luther Kings, in der er von der Bruderschaft der Menschheit
spricht. Von seinem Traum, seinen Hoffnungen und der Macht der Seele. Walt
Whitman, Ernesto Cardenal, Pablo Neruda und unzählige andere haben diesen Traum
auch geträumt. Er ist auch der meine. Deshalb versuchen wir, ihn wenigstens im
Kleinen, im persönlichen Leben anzustreben und zu verwirklichen. Was wir meines
Erachtens mehr denn je benötigen, ist ein neuer globaler Humanismus. Nations-
und religionsübergreifend, in welchem sich die Menschheit als eine gemeinsame
Spezies erkennt. Als gemeinsame Bürgerschaft dieser Erde und nicht als
getrennte Nationen im Kampf gegeneinander. Deshalb möchte ich Sie ermutigen,
sich für das Leben einzusetzen, für die Gleichberechtigung aller Völker, für
das Recht auf Unversehrtheit von Mensch und Tier. Denn die Erde ist für alle da
und jedes Geschöpf ist ein Kind der Erde. Wagen wir es, den Traum einer
geeinten Menschheit weiter zu träumen, die Vision eines würdigen Lebens für
alle, dann wird diese Vision vielleicht eines Tages Wirklichkeit werden.
Sigrid Beckmann-Lamb