Hirntot? Tot oder doch lebendig? Videos Teil 1 und Teil 2

von Dr. med. Regina Breul und Silvia Matthies


Der "Tod" des Organs Gehirn ist nicht der Tod des Menschen von Rainer Beckmann

Die Frage nach dem Tod des Menschen ist eine Grundsatzfrage, die völlig unabhängig von einem möglichen "Nutzen" des Leichnams für die Medizin oder andere Patienten beantwortet werden muss.

Wo es um den Tod des Menschen geht, ist zunächst die Frage zu beantworten: Was ist der Mensch? Denn bereits an dieser Frage scheiden sich die Geister. Unter den Vertretern der Hirntod-These finden sich viele Verfechter eines biologisch-materialistischen Menschenbildes, das die menschliche Existenz auf seine naturwissenschaftlich erfassbaren Phänomene reduziert und zum Beispiel das Denken oder das Bewusstsein mit den biochemischen beziehungsweise elektrischen Vorgängen im Gehirn gleichsetzt. Aus dieser Perspektive wäre das Erlöschen der Gehirnaktivität tatsächlich der Tod des Menschen. Allerdings stellt sich dann ganz grundsätzlich die Frage, warum ausgerechnet die im Gehirn ablaufenden chemischen/physikalischen Prozesse wichtiger sein sollten als andere gleichartige Vorgänge im menschlichen Körper und weshalb Menschen überhaupt eine besondere Würde haben, die unbedingte Achtung beansprucht (Art. 1 GG). Wenn es sich beim Menschen eigentlich nur um "Biomasse" handelt, wäre die Grundannahme, auf der unsere Gesellschafts- und Rechtsordnung aufbaut, hinfällig. Ein materialistisches Menschenbild ist daher als Ausgangspunkt für die Suche nach dem richtigen Todeskriterium ungeeignet.
Nach katholischer Auffassung dagegen ist der Mensch mehr als bloße Materie. Er ist "in Leib und Seele einer" (GS 14); "die Geistseele bewirkt, dass der aus Materie gebildete Leib ein lebendiger menschlicher Leib ist" (KKK, 365); "Seele" benennt das geistige Lebensprinzip im Menschen" (KKK, 363). Diese Sichtweise wird in unserem Kulturkreis auch außerhalb der Kirche weithin anerkannt. So wird in der Erklärung Wissenschaftlicher Fachgesellschaften zum Hirntod (1994) der Mensch als "ein Lebewesen in körperllch-geistiger oder in leiblich-seelischer Einheit" bezeichnet.

Tod: Trennung von Leib und Seele

Auf dieser Basis ist es einfach, eine Aussage über den Tod des Menschen zu treffen: "Durch den Tod wird die Seele vom Leib getrennt" (KKK,1016; s. auch 997, 1005). Daran schließt sich die Frage an, wie die Trennung der Seele vom Leib sicher festgestellt werden kann. Zutreffend hat der Pabst Johannes Paul II. ausgeführt, der Tod resultiere "aus der Trennung des geistigen Lebensprinzips (oder Seele) von der leiblichen Wirklichkeit der Person. Der... Tod der menschlichen Person ist ein Ereignis, das durch keine wissenschaftliche Technik oder empirische Methode unmittelbar identifiziert werden kann" (Ansprache vom 29. August 2000). Die im Rahmen der Hirntod-Diagnostik durchgeführten Tests mögen das Fehlen elektrischer Reize in der Hirnrinde (Null-Linien-EEG) oder das Fehlen von Reflexen des Hirnstamms nachweisen. Ein "Seelen"-Test ist jedoch prinzipiell unmöglich, da immaterielle Substanzen ihrem Wesen nach durch naturwissenschaftliche Methoden nicht erfasst werden können.
Dieses Unvermögen führt dazu, dass man sich dem Problem der sicheren Todesfeststellung nur indirekt nähern kann. So wie sich das Bestehen der Leib-Seele-Einheit in der Lebendigkeit des Leibes, also in "Lebenszeichen" äußert, kann umgekehrt der Tod, die Trennung der Seele vom Leib, nur indirekt am Verlöschen der Lebenszeichen erkannt werden. Der Tod ist - so banal es klingt - das Ende des Lebens.
Das Erlöschen der Lebenszeichen geschieht jedoch nicht schlagartig, sondern zieht sich über einen längeren Zeitraum hin. Die verschiedenen Organe und Gewebe des menschlichen Körpers verlieren ihre Funktionsfähigkeit unterschiedlich schnell. Am empfindlichsten sind die Zellen des Gehirns, die schon Minuten nach einem Kreislaufstillstand irreversibel geschädigt sind. Nach etwa einer halben Stunde ist meist auch das Herz funktionsunfähig geworden, es folgen die Lunge, die Leber, die Nieren, die Muskeln und schließlich die Knochen. Die Hornhaut des Auges kann sogar bis zu drei Tage nach einem Herzstillstand funktionsfähig sein.

Desintegration des Körpers als Ganzem?

Wann trennt sich im Verlauf dieses zeitlich ausgedehnten Sterbevorgangs die Seele vom Leib, wann ist der Tod eingetreten? Kann der Tod erst dann als sicher gelten, wenn die letzte Zelle des Körpers abgestorben ist? Da es nicht um den Tod von Zellen, sondern um den Tod des Menschen geht, wird man nicht warten müssen, bis alle Zellen ihre Funktionsfähigkeit verloren haben. Es ist vielmehr plausibel, dass in der Begründung des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer zur Validität des Hirntod-Kriteriums die "Desintegration des Körpers als Ganzem" als das körperliche Zeichen des Todes beschrieben worden ist. Ob bei einem Patienten mit Hirntod-Syndrom diese Desintegration der körperlichen Ganzheit vorliegt, ist aber mehr als zweifelfhaft.
Im Zustand des "Hirntodes" liegt zunächst einmal keines der anerkannten sicheren Todeszeichen vor (Leichenflecken, Leichenstarre, Verwesung). Es sind stattdessen viele Lebenszeichen vorhanden: das Herz schlägt (ohne Impulsgebung durch das Gehirn), das Blut zirkuliert in den Adern und erreicht fast alle Körperteile, in der Lunge wird das Blut mit Sauerstoff angereichert, Nahrung wird im Verdauungstrakt verwertet, das Blut wird gereinigt, Abfallstoffe werden über Nieren und Darm ausgeschieden, das Immunsystem bekämpft eingedrungene Fremdkörper, das Rückenmark produziert neue Blutkörperchen und vermittelt verschiedene Muskelreflexe auf äußere Reize, bei Jugendlichen findet Wachstum statt, Wunden heilen. Der menschliche Körper bleibt als Ganzes lebendig - abzüglich Gehirn.
Besonders eindrucksvoll ist, dass "hirntote" schwangere Frauen in der Lage sind, über Wochen und Monate ein Kind auszutragen. Gerade dieser Umstand zeigt, dass hier sehr komplexe Interaktionen zwischen den Organsystemen der Mutter und zwischen Mutter und Kind stattfinden, was ohne die Fähigkeit zur Integration und ohne einendes Lebensprinzip unmöglich wäre. Die Vorstellung, der Leib der Mutter werde durch den Embryo quasi "ferngesteuert" (so Wuermeling, DT vom 25. Februar, S.14), ist reine Spekulation.
Angesichts der Fülle von Lebenszeichen, die Patienten mit totalem Hirnversagen aufweisen, kann nicht vom Verlust der Integrationsfähigkeit des Körpers ausgegangen werden. Es ist ein wesentliches Kennzeichen für "lebende" Systeme, einen geordneten Zustand aufrecht zu erhalten beziehungsweise einen solchen bei Störungen wieder anzustreben. Der Tod, der Verlust des Lebensprinzips, führt dagegen zu einem Zerfall des Organismus, zur Auflösung in seine biologischen und physikalischen Bestandteile. Bei Patienten mit Hirntod-Syndrom ist aber gerade keine zunehmende Desintegration, kein Zerfall der Organe, Gewebe und Zellen zu beobachten.

Technisch unterstützte Atmung

Wie ist aber der Umstand zu bewerten, dass ein "Hirntoter" nicht mehr selbstständig atmet? Weil das normalerweise vom Hirnstamm ausgehende Signal für die Muskeln des Brustkorbes fehlt, Luft in die Lungen zu ziehen, muss dieser Funktionsverlust durch einen Apparat ausgeglichen werden, der Luft in die Lungenflügel bläst. Menschen, die beispielsweise auf einen Herzschrittmacher, einen Dialyseapparat oder gar ein künstliches Herz angewiesen sind, werden nicht für tot erklärt, nur weil ihr Körper eine bestimmte Leistung nicht mehr erbringen kann und auf medizinisch-apparative Hilfe angewiesen ist. Warum sollte man das dann im Fall der technisch unterstützten Atmung tun?
Offenbar gehen viele Hirntod-Befürworter davon aus, dass es sich beim Gehirn um das alles entscheidende "Ober-Organ" handelt, das den Menschen wesentlich ausmacht. In gewisser Weise wird "Hirnleben" mit "Menschenleben" gleichgesetzt. Das ist auf den ersten Blick auch verständlich, wenn man allein auf die höheren Hirnleistungen (Bewusstsein, Gefühle, Denken) abstellt, die als charakteristisch für menschliches Leben gelten. Aber diese Leistungen sind nach dem Hirntod-Konzept für die Annahme von "Leben" gar nicht maßgeblich. Das Fehlen jeglichen Bewusstseins und anderer im Großhirn angesiedelten Fähigkeiten macht einen Patienten auch nach dem Ganzhirntod-Konzept nicht zu einer Leiche. Betrachtet man aber die mehr biologisch-physiologischen Leistungen des Gehirns (wie den Atemimpuls), dann kann diesen keine absolut übergeordnete Stellung im menschlichen Körper zugeschrieben werden. Das Gehirn erhält den Menschen nicht allein lebendig, sondern kann dies nur in Interaktion mit den anderen lebenswichtigen Organen (Herz, Lunge, Nieren) tun. Dabei kommt dem Kreislaufsystem eine besonders wichtige Integrationsfunktion zu, da es die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des gesamten Körpers sicherstellt.

Embryonen sind keine Leichen

Das ist auch schon in der Embryonalentwicklung so. Noch bevor nennenswerte Hirnstrukturen entstehen, pulsiert das Herz und ist wesentlicher "Motor" der körperlichen Entwicklung. Embryonen ohne Gehirn sind aber keineswegs tot. Im Gegenteil, sie sind so lebendig, dass sie in der Lage sind, ein menschliches Gehirn zur Entstehung zu bringen. Das "Lebensprinzip" (Seele) muss also bereits vorhanden sein und seine Wirkung entfalten. Die Embryonalentwicklung zeigt, dass weder das Funktionieren, noch überhaupt das Vorhandensein eines Gehirns eine notwendige Vorraussetzung für das Leben eines Menschen ist. Warum sollte dann ein Patient, dessen messbare Hirnfunktionen gerade erloschen sind, der aber ansonsten einen lebendigen Leib hat, nicht Teil einer Leib-Seele-Einheit sein können?
Wer den Ausfall des Gehirns mit der Trennung der Seele vom Leib des Menschen gleichsetzt, muss annehmen, dass die Seele des Menschen räumlich im Gehirn anzusiedeln ist. Dafür gibt es aber keinerlei überzeugende Belege. In der abendländisch-christlichen Philosophie versteht man die Seele als das belebende Prinzip des Leibes: anima forma corporis. Die Seele durchdringt also den gesamten Leib des Menschen - und nicht etwa nur das Gehirn. Das Gehirn ist sicherlich notwendig, um intellektuelle Akte zu vollbringen. Insoweit ist das Gehirn ein wichtiges Instrument der Seele. Für die Lebendigkeit des Körpers an sich ist das Gehirn dagegen nicht zwingend notwendig. Die Fakten sprechen insgesamt eindeutig gegen die Annahme, dass in Patienten mit Hirnversagen das geistige Lebensprinzip bereits verloren gegangen ist. Der Leib des Menschen ist auch im Zustand des "Hirntodes" eine Einheit, die nicht der Desintegration und dem Zerfall preisgegeben ist. Gerade durch das ärztliche Eingreifen mittels Beatmung (und ggf. weiterer Maßnahmen) wird das Fortschreiten des Sterbeprozesses verhindert. Die Phase der aufrecht erhaltenen Lebendigkeit des Leibes und der Zustand nach Einstellung der intensivmedizinischen Maßnahmen sind klar unterscheidbar und von unterschiedlicher Qualität.

Unsicherheit erfordert Abwarten - nicht Handeln

Aufgrund der Unmöglichkeit, den Zeitpunkt der Trennung von Leib und Seele exakt zu bestimmen, kann man sich natürlich auf den Standpunkt zurückziehen, dass es in dieser Frage "kein endgültiges Wissen" gebe. Daraus aber den Schluss zu ziehen, man müsse anerkennen, dass Ärzte mit "beachtlichen Vernunftgründen" dem Hirntod-Konzept folgten (s. Thomas, DT vom 18. Februar, S.11), ginge zu weit. Wo "kein endgüliges Wissen" vorhanden ist, darf man sich nicht so verhalten, als wisse man es eben doch. Wo Unsicherheit und Unwissen gegeben ist, muss man "im Zweifel" auf der sicheren Seite bleiben und dem Sterbeprozess Zeit geben. Denn daran besteht kein Zweifel: Je länger man wartet und je mehr Lebenszeichen erlöschen, desto sicherer ist der Tod. Auch Pabst Benedikt XVI. hat diesen Aspekt hervorgehoben: "In einem Bereich wie diesem darf es nicht den geringsten Verdacht auf Willkür geben, und wo die Gewissheit noch nicht erreicht sein sollte, muss das Prinzip der Vorsicht vorherrschen" (Ansprache vom 7. November 2008).
Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente dafür, bei sogenannten "Hirntoten" von einem noch nicht abgeschlossenen Sterbeprozess auszugehen. Der lebendige Leib ist das körperliche Zeichen des Vorhandenseins der Seele. Patienten mit ausgefallener Hirnfunktion sind dem Tod nahe, aber noch nicht tot. Sie müssen daher als Lebende behandelt werden.

aus: Die Tagespost. Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, www.die-tagespost.de, Ausgabe 30/2012, Samstag, 10. März 2012, Seite 3


Für Tote geradezu lebensgefährlichmfGdV. von Dr. Hubertus Swaczyna

Wenn Hans Thomas in seinem Beitrag die Hinweise Professor Waldsteins auf die Wiedergenesung sogenannter "Hirntoter", die man nicht transplantierte, sämtlich als Fehldiagnosen abtun will, so richtet sich das letztlich gerade gegen das "Hirntodkriterium" als Voraussetzung der Freigabe eines Menschen zur Organentnahme: Wenn es offenbar solche Fehldiagnosen bei der Hirntodfeststellung gibt, ist das für den "Hirntoten" geradezu lebensgefährlich. Denn sind ihm erst einmal lebenswichtige Organe entnommen, ist der Tod des betreffenden Menschen unausweichlich und unumkehrbar. Mir hat ein praktizierender Neurologe übrigens glaubwürdig berichtet, auf einem Ärztekongress habe man im Rahmen der EHEC-Krise von einer 73-jährigen Frau berichtet, die in Folge einer EHEC-Infektion das sog. HUS-Syndrom bekam und bei der der "Hirntod" festgestellt wurde. Der Neurologe sagte, gottlob sei diese Frau zu alt für eine Organentnahme gewesen. So wurde sie weiter medizinisch versorgt und genas wieder vollständig.


Mit heißer Nadel gestricktvon Stefan Rehder

Selbst Befürworter des Transplantationsgesetzes kritisieren dessen Praxisferne.

Im Eiltempo hatte der Bundestag vergangene Woche die mit heißer Nadel gestrickte Änderung des Transplantationsgesetzes(TPG) beschlossen und dabei selbst auf die Expertenanhörung verzichtet, die der federführende Bundestagsausschuss üblicherweise zwischen der Einbringung und der Verabschiedung eines Gesetzentwurfs veranstaltet. Was nicht verhindert, dass sich einige "Experten" doch zu Wort melden und ihre Kritik über die Medien transportieren. Bemerkenswert ist daran nur, dass in Gestalt des Präsidenten der Landesärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst, nun ausgerechnet ein Chirurg und Verfechter von Organtransplantationen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Die demnächst "gesetztlich vorgeschriebenen Transplantationsbeauftragten", die es in Nordrhein-Westfalen bereits flächendeckend an allen Kliniken gebe, benötigten auch "echte Handlungsfähigkeit". Sie müssten "nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Arbeitsalltag den nötigen Freiraum für ihre Arbeit bekommen und notfalls auch freigestellt werden", fordert Windhorst.

Eleganter kann man kaum ausdrücken, dass die eilfertig beschlossene Novelle des TPGs - unabhängig von der Nichtbeantwortung der ethisch virulenten Frage, ob ein hirntoter Spender auch wirklich tot ist, bevor ihm lebenswichtige Organe entnommen werden - noch ganz andere Mängel aufweist. So verpflichtet der neue Paragraf 9b des novellierten TPG zwar nun jedes Krankenhaus, das technisch in der Lage ist, einem für hirntot erklärten Patienten, der sich zu einer "postmortalen Organspende" bereit erklärt hat, die Organe auch zu entnehmen, "mindestens einen Transplantationsbeauftragten" zu benennen. Doch wie dieser die damit verbundenen zahlreichen Aufgaben neben seiner normalen Tätigkeit wahrnehmen soll, dazu schweigt das Gesetz. Dies werde "durch Landesrecht" geregelt. Dummerweise gibt es aber bislang nur in acht von sechzehn Bundesländern flächendeckend Transplantationsbeauftragte. Und selbst dort, wo es sie gibt, ist noch lange nicht garantiert, dass diese auch alle potenziellen Spender identifizieren. Ein Grund: Viele Krankenhäuser sind heute personell chronisch unterbesetzt und kämpfen - auch wegen des demografischen Wandels - ums Überleben. Ein Transplantationsbeauftragter, der seine Aufgaben gewissenhaft ausführen will, sich nach Schwerst-Schädel-Hirnverletzten erkundigt, bei den Kollegen deren Prognose erfragt, frühzeitig klärt, wer von ihnen einen Organspenderausweis besitzt, die Deutsche Stiftung Organtransplantation(DSO) informiert und bei einem diagnostizierten Hirntod Kontakt mit den Angehörigen aufnimmt und diese - falls keine Erklärung des Patienten vorliegt, aus der hervorgeht, wie dieser zur Organspende steht - um Einwilligung in eine solche bittet, ist entweder nicht ausgelastet oder kann diese Aufgaben unter den Arbeitsbedingungen, wie sie heute an vielen Krankenhäusern und Kliniken herrschen, nur unzureichend erfüllen.

Hinzu kommt: Für die allermeisten Krankenhäuser ist eine Organtransplantation ein Zuschuss-Geschäft. Geld scheffeln mit Transplantation - das tun in Deutschland nur die 50 Transplantationszentren, in denen pro Tag durchschnittlich elf Patienten eines oder mehrere fremde Organe eingesetzt werden. Die "Entnahmekrankenhäuser" werden dagegen durch eine Explantation oft daran gehindert, Geld zu verdienen. Der OP wird blockiert, das OP-Personal, das von der Entnahmeklinik gestellt werden muss, für die darauf folgenden Dienste freigestellt, wodurch geplante Operationen in vielen Fällen verschoben werden müssen. Die Kosten, die dadurch entstehen, werden durch die von der DSO gezahlten Aufwandsentschädigungen nicht annähernd gedeckt. Nicht ohne Grund wurden 2011 von rund 4000 für hirntot erklärten Patienten in Deutschland der DSO lediglich rund 1800 als potenzielle Organspender gemeldet. Dass eine Pflicht zur Ernennung von Transplantationsbeauftragten daran in Zukunft nicht Gravierendes ändern wird, hätte der Gesetzesgeber wissen können. So kamen etwa in Baden-Württemberg mit  seinen sparsamen Schwaben im vergangenen Jahr elf Organspender auf eine Million Einwohner. Und das obwohl die Transplantationsbeauftragten dort bereits 2006 eingeführt wurden. Zum Vergleich: In Bremen waren es 31 Organspender, die auf eine Million Einwohner kamen. Die Praxisferne der Gesetzesnovelle in einem derart zentralen Punkt dürfte sich wie Wasser auf die Mühlen derer ausnehmen, die grundsätzlich Probleme mit der Neuregelung des TPG haben.

"Nicht einmal die zahlreichen aktuellen Ungereimtheiten und Skandale um die DSO", habe "den Bundestag davon abgehalten, ohne Anhörung kritischer Positionen in zweiter und dritter Lesung Gesetze zur Neuregulung der Organspende durchzudrücken", kommentierte etwa die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben, Mechthild Löhr, den Bundestagsbeschluss. Dabei seien "Hirntote" zum Zeitpunkt der Organentnahme "eindeutig noch Lebende im Sterbeprozess, die künstlich beatmet werden". "Durch die nunmehr beschlossene generelle und regelmäßige bundesweite Erfassung der Organspendebereitschaft jedes einzelnen Bürger" habe das Parlament "eine neue Grenze zur Vergesellschaftung überschritten". Zwar werde bei Entscheidungslösung "noch formal das Prinzip der Feiwilligkeit gewahrt", doch übe der Staat bereits mittelbar "moralischen Zwang auf die Bürger aus". Das habe "den Charakter einer ethischen Nötigung und missachtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung". Dass das Gesetz ohne vorherige Anhörung "durch eine breite Allparteienkoalition" verabschiedet worden sei, werfe "ein bedenkliches Licht auf die aktuelle parlamentarische Diskussionskultur unseres Landes", so Frau Löhr weiter. Ähnliches äußerte sich auch der Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht Martin Lohmann. Die neue Gesetzeslage könne nur noch mühsam den Anschein der Freiwilligkeit bei der Organspende aufrecht erhalten. In Wirklichkeit habe der Gesetzgeber "eine verschleierte Zwangsregelung auf den Weg gebracht, die einer ambitionierten Entmündigung durch eine mehr oder weniger offene Druckausübung gleichkommt". Die ansonst "hoch gelobte Selbstbestimmung" werde "faktisch ausgehöhlt und unterlaufen. Das ist keine der unantastbaren Würde des einzelnen entsprechende gerechte Vorgehensweise", so Lohmann. Dagegen begrüßte der Mainzer Kardinal Karl Lehmann die beschlossene Neuregelung. Trotz der Dringlichkeit der Bereitstellung einer größeren Anzahl von Spendeorganen werde die Freiheit der Entscheidung des Einzelnen gewahrt, so der Kardinal.

aus: Die Tagespost. Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, www.die-tagespost.de, Ausgabe 60/2012, Samstag, 02. Juni 2012

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