Der Mensch ist das einzige Tier, vor dem man sich fürchten muss. Während eines Aufenthalts mit meinem Freund oben in den Bergen kam vor einiger Zeit ein Mann und erzählte dem Gastgeber, dass letzte Nacht ein Tiger eine Kuh gerissen hatte, und ob wir den Tiger an diesem Abend gern sehen wollten? Er könnte das dann arrangieren. Er wollte in einem Baum eine Plattform errichten und eine Ziege daran fest binden, und das Meckern der Ziege, des kleinen Tieres, würde den Tiger anlocken, und so könnten wir ihn dann sehen. Wir weigerten uns beide, unsere Neugier so grausam zu befriedigen. Aber später an diesem Tag sagte der Gastgeber, dass wir den Wagen nehmen und in den Wald fahren sollten, um den Tiger doch noch zu sehen, falls möglich. Also fuhren wir gegen Abend in einem offenen Wagen mit Chauffeur viele Meilen weit in den Wald. Natürlich sahen wir erst nichts. Dann wurde es ziemlich dunkel, so dass die Scheinwerfer angemacht wurden. Als wir uns umwandten, war er plötzlich da. Er saß in der Mitte der Straße, als warte er darauf, uns zu empfangen. Es war ein sehr großes Tier, wunderschön gezeichnet, und seine Augen funkelten und schillerten im Scheinwerferlicht. Grollend kam er auf das Auto zu, und der Gastgeber warnte, als der Tiger nur ein paar Zentimeter von der ausgestreckten Hand entfernt vorüberging: „Nicht anfassen, er ist zu gefährlich und zu schnell, schneller als Ihre Hand.“ Aber man konnte die Kraft dieses Tieres, seine Vitalität spüren. Er war ein großer Dynamo an Kraft; und während er vorüberging, fühlte man sich stark zu ihm hingezogen. Dann verschwand er im Wald.
Anscheinend hatte der Freund schon viele Tiger gesehen. In seiner Jugend hatte er geholfen, einen Tiger zu töten, und seither hatte er die schreckliche Tat bereut. Grausamkeit in jeder Form verbreitet sich jetzt in der Welt. Wahrscheinlich war der Mensch niemals so grausam, so gewalttätig, wie er es jetzt ist. Die Kirchen und die Priester dieser Welt haben über Frieden auf Erden gesprochen. Vom Höchsten in der christlichen Hierarchie bis zum armen Dorfpriester wird davon gesprochen, dass man ein gutes Leben führen, nicht verletzen, nicht töten soll.
Die Buddhisten und Hindus früherer Zeiten sagten: „Tut keiner Fliege etwas zuleide, tötet nicht; denn ihr werdet im nächsten Leben dafür bezahlen müssen.“ Das war ziemlich grob, aber manche folgten diesem Geist, dieser Absicht, niemanden zu töten oder zu verletzen.
Doch in den Kriegen wird immer weiter getötet. So schnell tötet der Hund das Kaninchen. Oder der Mensch erschießt einen anderen mit seinen großartigen Vorrichtungen und vielleicht wird er dann selber von einem anderen erschossen. Dieses Töten setzt sich seit Jahren, seit Jahrtausenden fort. Manche betrachten das als Sport. Andere morden aus Hass, im Zorn, aus Eifersucht und der organisierte Mord mit Waffen verschiedener Nationen geht weiter.
Man fragt sich, ob der Mensch auf dieser schönen Erde jemals in Frieden leben wird, ohne auch nur das kleinste Etwas zu töten, ohne selber getötet zu werden oder ohne einen anderen zu töten, ob er je friedlich mit etwas Göttlichkeit und Liebe in seinem Herzen leben wird. In diesem Teil der Welt, den wir den Westen nennen, haben Christen vielleicht mehr getötet als irgend jemand anderes. Sie reden immer vom Frieden auf dieser Erde. Aber wenn man Frieden haben will, muss man friedlich leben, und das scheint ganz unmöglich zu sein. Es gibt Argumente, dass der Mensch seit jeher tötet und es immer so bleiben wird. Das ist eine sehr alte Geschichte. Das endlose Morden ist innerhalb eines akzeptierten Schemas trotz aller Religionen zu einer Gewohnheit geworden.
Neulich beobachtete man einen Rotschwanzhabicht, wie er hoch oben am Himmel ohne Flügelschlag mühelos kreiste, nur aus Spaß am Fliegen sich von der Luftströmung tragen ließ. Dann gesellte sich ein anderer zu ihm und sie flogen eine ganze Weile gemeinsam. Das waren herrliche Geschöpfe am blauen Himmel und es ist ein Verbrechen gegen den Himmel, sie in irgendeiner Form zu verletzen. Natürlich gibt es keinen Himmel. Der Mensch hat sich den Himmel aus Hoffnung erdacht, denn sein Leben ist zur Hölle geworden, ist endloser Konflikt von der Geburt bis zum Tod, ein Kommen und Gehen, Geld machen, endlos arbeiten. Dieses Leben ist zu einem Tummelplatz, zur Plage endlosen Strebens geworden. Man fragt sich, ob der Mensch, ob ein menschliches Wesen auf dieser Erde jemals friedlich leben wird. Konflikt ist eine Lebensart, sowohl unterhalb der Haut in der Psyche als auch außen in der Gesellschaft, die sich die Psyche erschaffen hat.
Die Liebe ist wahrscheinlich ganz von dieser Welt verschwunden. Liebe setzt Großzügigkeit, Behutsamkeit voraus, dass man einander nicht verletzt, einen anderen nicht veranlasst, sich schuldig zu fühlen; dass man großzügig, höflich ist und sich so verhält, dass die Worte und Gedanken einem Erbarmen entspringen. Natürlich kann man nicht barmherzig sein, wenn man organisierten religiösen Institutionen angehört, großen, traditionellen, mächtigen, dogmatischen Institutionen, die darauf bestehen, dass man Glauben hat. Man muss frei sein, um lieben zu können. Solche Liebe ist kein Vergnügen, kein Verlangen, ist nicht Erinnerung an Dinge, welche vorbei sind. Liebe ist nicht das Gegenteil von Eifersucht, Hass und Zorn. Das alles mag ziemlich utopisch, idealistisch, wie etwas erscheinen, nach dem der Mensch nur streben kann. Aber wenn man das nicht glaubt, wird der Mensch fortfahren zu töten. Die Liebe ist wirklich so stark wie der Tod. Sie hat nichts mit Einbildung oder Sentimentalität oder Romantik zu tun und natürlich hat sie nichts mit Macht, Position, Prestige zu tun. Sie ist so still wie die Wasser des Meeres und so mächtig wie das Meer. Sie ist wie das strömende Wasser eines reichen Flusses, der ewig ohne Anfang und ohne Ende dahinfließt. Aber der Mensch, der die jungen Robben oder die großen Wale tötet, ist nur an seinem eigenen Lebensunterhalt interessiert. Er würde sagen: „Ich lebe davon, das ist mein Gewerbe." Ihn interessiert überhaupt nicht das, was wir Liebe nennen. Er liebt wahrscheinlich seine Familie, oder denkt, dass er sie liebt, und es ist ihm ziemlich egal, wie er seinen Lebensunterhalt verdient.
Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, warum der Mensch ein so zerrissenes Leben führt. Niemals scheint er das, was er tut, zu lieben, obgleich es ein paar Menschen gibt, die das tun. Wenn man von der Arbeit leben würde, die man liebt, wäre alles anders. Dann würde man die Gesamtheit des Lebens verstehen. Wir haben das Leben in Fragmente zerteilt: in die Geschäftswelt, in die Welt der Kunst, in die Welt der Wissenschaft, in die Welt der Politik und die der Religion. Wir scheinen anzunehmen, dass alles von einander getrennt ist und getrennt bleiben muss. So werden wir zu Heuchlern, indem wir etwas Hässliches, Korruptes im Geschäftlichen tun und dann nach Hause kommen, um friedlich mit der Familie zu leben. Das züchtet Heuchelei, einen zwiespältigen, unaufrichtigen Lebensstandpunkt.
Das ist wirklich eine wunderbare Erde. Dieser Vogel da oben auf dem höchsten Baum sitzt jeden Morgen dort, schaut auf die Welt hinab, passt auf, ob kein größerer Vogel kommt, ein Vogel, der ihn töten könnte, beobachtet die Wolken, die vorüberziehenden Schatten und die weiten Ausdehnungen dieser Erde, die Flüsse, die Wälder und die Menschen, die von morgens bis nachts arbeiten. Wenn man überhaupt nachdenkt, muss man psychisch voller Leid sein. Man fragt sich, ob sich der Mensch je wandeln wird oder ob es nur die wenigen, die sehr wenigen sein werden. Was für eine Beziehung haben die wenigen zu den vielen? Oder welche Beziehung haben denn die vielen zu den wenigen? Die vielen haben keine Beziehung zu den wenigen. Aber die wenigen haben eine Beziehung zu den vielen.
Während man neben einer Eidechse auf einem Stein sitzt und in das Tal hinabschaut, wagt man nicht sich zu rühren, denn davon könnte die Eidechse gestört werden oder Angst bekommen. Auch die Eidechse passt auf. Die Welt dreht sich weiter, erfindet Götter, folgt der Hierarchie von Gottes Repräsentanten; und aller Schein und Schande der Illusion wird sich wahrscheinlich fortsetzen. Die Tausende von Problemen werden immer schwieriger und verwickelter werden. Allein die Intelligenz der Liebe und des Erbarmens kann alle Lebensprobleme lösen. Diese Intelligenz ist das einzige Instrument, das sich niemals abnutzt oder sinnlos werden kann.