Karlheinz Deschner von Sigrid Beckmann-Lamb

Sigrid Beckmann-Lamb sprach im Juli 2005 mit dem Schriftsteller und Religionsforscher Karlheinz Deschner ("Und abermals krähte der Hahn"). Auszüge aus dem Gespräch:

Was hat Sie bewogen, das schützende Wir-Gefühl der christlichen Gemeinschaft gegen die einsame Position eines angefeindeten und verleumdeten Kritikers einzutauschen?

Die Erkenntnis, dass alle Grundlagen des Christentums erstens dogmatisch haltlos, zweitens religionsgeschichtlich - vom Weihnachtsfest bis hin zur Himmelfahrt - ein einziges Plagiat, d.h., sowohl dem Judentum wie dem Hellenismus entwendet worden sind. Übrigens nicht nur die zentralsten Glaubenssätze noch die periphersten kultischen Details: nichts ist originell. Dazu kommt, dass die Geschichte des Christentums seit nunmehr eintausendsiebenhundert Jahren das krasse Gegenteil seiner schönen sozialen und pazifistischen Bibelsprüche ist. Jeder der drei Gründe nötigt schon für sich allein den redlich Denkenden zum Bruch mit dieser Religion.

Hat das Christentum Ihrer Meinung nach noch eine Chance? Könnte es zu einer Renaissance dieses Glaubens kommen? Wie müsste sich das Christentum entwickeln, um weiterbestehen zu können?

Eine Renaissance des Christentums ist weder wahrscheinlich noch, was ja schon aus dem Gesagten folgt, im geringsten wünschenswert. Wie keine andere Religion hat das Christentum die Welt kaputtgemacht und verdient deshalb auch selbst kaputtgemacht zu werden. Ich meine damit seine geistige Liquidation, nicht die Jahrhunderte lange Kirchenpraxis über Leichen.

Sehen Sie im Buddhismus, also der wissenschaftlichen Erforschung des Geistes, eine Alternative?

Ich sehe den Buddhismus - gewiss ehrenwerter als das Christentum, wozu freilich nicht viel gehört - weder als wissenschaftliche Erforschung des Geistes noch als Alternative an. Ich fürchte allerdings, was die Wissenschaft betrifft, dass ihr ständig und zunehmend betriebener Missbrauch uns noch teurer zu stehen kommen wird als alle Religionen zusammen - falls wir nicht schon dahin gekommen sind.

Wenn nicht Religion, was könnte sonst die Sehnsucht nach dem Ergründen der letzten Dinge stillen?

Ich weiß gar nicht, ob es so erstrebenswert ist, die "letzten Dinge" zu ergründen. Und wenn man sie ergründet hätte (falls man sie nicht schon ergründet hat!), was denn dann?

Wie ist Ihre persönliche Vorstellung vom eventuellen Leben nach dem Tod? Ein Überleben des Bewusstseins?

So schmerzlich es ist, an das Erlöschen unseres Bewusstseins auf immer zu denken - was könnte uns mehr erlösen als das Erlöschen unseres Bewusstseins?

Welche Menschen sehen Sie als glaubwürdigste Vertreter der christlichen Lehre an?

Früher hielt ich einmal den Kirchenlehrer Basilius ("Wer den Nächsten liebt wie sich selbst, hat nicht mehr als der Nächste") und Franz von Assisi dafür. Bei näherer Betrachtung kam ich wieder davon ab. - Natürlich gibt es gute Menschen in jeder Religion - und außerhalb jeder Religion. Aber sie sind nicht gut, weil sie die oder jene Religion haben oder weil sie keine haben. Sie wären gut in jeder Religion, wie auch außerhalb jeder. Und bedenken wir immer: Die guten Christen sind am gefährlichsten; man verwechselt sie mit dem Christentum.

Welche Erfahrung beendete Ihr Jägertum?

Die Einsicht, die späte, mir heute unbegreiflich späte, noch durch Krankheit verschärfte Einsicht, dass die Jagd - ich war zwölf Jahre Jäger - eines der heimtückischsten Verbrechen überhaupt ist, ein Krieg ohne Risiko für die Mörder, die ihr halaliumjubeltes Dauertotschießen noch verklären, zum Kult, zum "edlen Waidwerk" erhoben haben und erheben. Was ist widerlicher, was verlogener! Doch erst als ich ungezählte Tiere um ihr Leben gebracht, um das Köstlichste, das wir alle haben, als ich ungezählte Hasen, Rehe, Wildschweine, Wildenten, auch Hunde und Katzen angeschossen hatte, Wesen, die genau so gerne lebten und leben wollten wie ich, durch mich aber zu Tode gequält wurden, durch mich elend irgendwo verfault, verhungert sind, erst als mir dies Ungeheuerliche bewusst, so unbegreiflich spät bewusst geworden war, gab ich es auf. Doch sucht es mich heim, wieder und wieder, mein Leben lang; ich nehme es mit in den Tod.

Wenn ich richtig informiert bin, sind Sie Vegetarier aus ethischen Gründen: Darf ich fragen, wie es dazu kam?

Durch den Vorwurf eines Tages unserer beiden jüngeren Kinder: Du warst Jäger, Du hast "unschuldige Rehe" am Waldrand erschossen, wie konntest Du das nur! Na, und ihr, rief ich in ihren Protest, ihr empörtes Unverständnis hinein, ihr esst Fleisch! Der Metzger, sagte ich, schlachtet das Schwein, das Kälbchen ja nicht, weil's ihm Spaß macht, sondern weil ihr es essen wollt, nur deshalb. Darauf aßen beide Kinder, Bärbel und Thomas, nie mehr Fleisch, auch keinen Fisch selbstverständlich. Und ich schloss mich an, hatte ich doch schon einmal zwanzig Jahre vorher, als Dreißigjähriger, versucht, vegetarisch zu leben.

Wie sehen Sie die Zukunft Europas?

Als konsequente Folge seiner Vergangenheit, aus der es nichts gelernt hat - aus der man es nichts lernen ließ. Und lässt!

Wie sehen Sie die Zukunft der Menschheit bezogen auf sie nächsten 50 Jahre?

Wie die Europas - wenn es in fünfzig Jahren noch eine Menschheit gibt.

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um das unermessliche Leid der Tiere - ebenso der Menschen - zu beenden?

Eine Revolution des Bewusstseins, des Seins. Doch davor steht alles Geld, alle Gewalt, alle Gier und Grausamkeiten der Welt, insbesondere die jener, von denen es schon vor zweitausend Jahren hieß: sie regieren gewaltsam die Völker, sie unterjochen, vergewaltigen sie und lassen sich dafür noch Wohltäter (Segenspender) nennen (Lk. 22,25; Mt. 20,25).

Eine letzte Frage: Halten Sie den Menschen überhaupt für lernfähig? Ist der Mensch als Spezies wirklich nur ein höherentwickeltes Tier? Ist er vielleicht ein unterentwickeltes Tier, da er ja systematisch die eigenen Artgenossen vernichtet, um Macht zu erlangen? Ein Tier tötet keine Artgenossen.

Selbstverständlich halte ich den Menschen für lernfähig, auch für lernwillig. Doch soll er nur lernen, was seinen Unterdrückern passt. Eine Minorität wird elitär, wird szientifisch, technisch hochgepuscht und moralisch verdorben, die überwältigende Mehrheit systematisch verdummt. Der Mensch als solcher scheint mir ein entartetes Tier zu sein, ein Fehlschlag, was nicht ich zum erstenmal vermute, der Natur, die sich durch seine Ausrottung wieder reinigt.

Was ist Ihr persönlicher Wunsch, Ihre persönliche Hoffnung für die Zukunft?

Die Utopie: Allen Wesen Gewaltlosigkeit und Frieden.

Wenn Sie eine Botschaft an die Welt richten könnten - wie würde diese in einem Satz lauten?

Mit einem Wort der Bibel wieder, einem ihrer wichtigsten, wahrhaftigsten Worte für mich (unter ihren vielen Lügen): "Wenn ihr euren Sinn nicht ändert, werdet ihr alle ebenso umkommen." (Lk. 13,3).

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.


"Ich liebe radikales Denken, wenn es vernünftig ist."

Karlheinz Deschner

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